Entschlüsselung der Obama-Doktrin
Entschlüsselung der Obama-Doktrin
von Daniel Pipes
The Washington Times
6. April 2015
http://de.danielpipes.org/15741/obama-doktrin
Englischer Originaltext: Decoding the Obama Doctrine
Übersetzung: H. Eiteneier
James Jeffrey, Barack Obamas ehemaliger außerordentlicher Gesandter und Generalbevollmächtigter im Irak, hat dies hier über die aktuelle Bilanz im Nahen Osten zu sagen:
„Wir befinden uns in einem verdammten freien Fall.“
Zählen wir die Fehler: Hilfe beim Sturz von Muammar Gaddafi in Libyen, was zu Anarchie und Bürgerkrieg führte. Druck auf Hosni Mubarak in Ägypten, dass er zurücktritt, dann die Unterstützung der Muslimbruderschaft, was dazu führte, dass der jetzige Präsident Al-Sisi sich Moskau zuwendet. Verstimmung des unerschütterlichsten Verbündeten in der Region, der Regierung Israels. ISIS als „Schülermannschaft“ abqualifiziert, bevor er große Städte eroberte. Den Jemen als Antiterror-Erfolg bejubelt, unmittelbar bevor seine Regierung gestürzt wurde. Die saudischen Autoritäten bis zu dem Punkt erschreckt, dass sie eine Militärallianz gegen den Iran zusammenstellten. Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei verhätschelt, was ihn in seinen diktatorischen Tendenzen ermutigte. Den Irak und Afghanistan vorzeitig verlassen, was die amerikanischen Investitionen in diesen beiden Ländern zum Untergang verurteilte.
Und vor allem: Gefährlich mangelhafte Händel mit den nach Atomarem strebenden Mullahs des Iran abgeschlossen.
Gaddafi aus Libyen – eine Obama-Erfolgsstory?
Ist das eine zufällige Reihe von Fehlern einer inkompetenten Führung oder steckt hinter diesem Muster eine große, wenn auch missverstandene Idee? Bis zu einem gewissen Maß ist es Unfähigkeit, so wie Obamas Diener vor dem saudischen König, die Drohung an Syriens Regierung wegen des Einsatzes von Chemiewaffen, bevor er seine Meinung wieder änderte; und jetzt schickt er das US-Militär, um Teheran im Irak zu helfen und ihn im Jemen zu bekämpfen.
Doch es gibt auch eine große Idee und die erfordert Erklärung. Als Mann der Linken betrachtet Obama die Vereinigten Staaten als eine Kraft, die einen schädlichen Einfluss auf die Welt da draußen ausgeübt hat. Gierige Konzerne, ein übermächtiger militärisch-industrieller Komplex, rüpelnder Nationalismus, eingefleischter Rassismus und Kulturimperialismus machen zusammen unter dem Strich Amerika zu einer Kraft des Bösen.
Als Student des Community Organizers Saul Alinsky verkündete Obama seine Ansichten nicht lauthals, sondern gab sich als Patriot aus, obwohl er (und seine charmante Ehefrau) gelegentlich Hinweise auf ihre radikalen Sichtweisen zur „fundamentalen Umgestaltung der Vereinigten Staaten“ gaben. Beim Aufstieg ins Präsidentenamt ging Obama langsam vor, wollte keine Besorgnis wecken und er wollte wiedergewählt werden. Doch inzwischen, nach vollen sechs Jahren, zu einem Zeitpunkt, an der er sich nur noch Sorgen über seine Hinterlassenschaft machen muss, erscheint der voll aufgeblühte Obama.
Die Obama-Doktrin ist einfach und umfassend:
Die US-Regierung muss für ihre früheren Fehler moralisch Wiedergutmachung leisten. Feindselige Staaten anzulächeln, wird diese inspirieren das zu erwidern. Die Anwendung von Gewalt schafft mehr Probleme als sie löst. Historische US-Verbündete, Partner und Helfer sind moralisch untergeordnete Staffage. Im Nahen Osten bedeutet das, es wird versucht den Revisionisten (Erdoğan, die Muslimbruderschaft, die Islamische Republik Iran) eine helfende Hand zu reichen und kooperative Regierungen (Ägypten, Israel, Saudi-Arabien) wegzustoßen.
Unter diesen Akteuren stechen zwei heraus: Der Iran und Israel. Gute Beziehungen zum Iran aufzubauen scheint der Obama beherrschende Gedanke zu sein. Wie Michael Doran vom Hudson Institute zeigte, hat Obama während seiner gesamten Präsidentschaft daran gearbeitet den Iran zu dem zu machen, was er „eine sehr erfolgreiche Regionalmacht“ nennt, „die internationale Normen und internationale Regeln einhält“.
Dem gegenüber stehen – vor seiner Präsidentenzeit – Freundschaften mit wilden Antizionisten wie Ali Abunimah, Rashid Khalidi und Edward Said, die auf die Tiefe seiner Feindseligkeit dem jüdischen Staat gegenüber hindeuten.
Die Obama-Doktrin entmystifiziert das, was ansonsten unbegreiflich ist. Zum Beispiel erklärt sie, warum die US-Regierung ungeniert das empörende „Tod Amerika“-Geschrei des iranischen Obersten Revolutionsführers im März ignorierte, das sie als bloßes innenpolitische Getue abtat, während Obama sich den fast gleichzeitig abgegebenen Kommentar des israelischen Premierministers im Wahlkampf vornahm, mit dem dieser eine Zweistaatenlösung mit den Palästinensern während seiner Amtszeit ablehnte („wir nehmen ihn beim Wort“).
Die Doktrin bietet zudem eine Richtschnur, um mögliche Entwicklungen während Obamas verbleibender Amtszeit vorherzusagen, so wie diese: Armselige P5+1-Deals mit dem Iran werden Israels Regierung dazu treiben die iranischen Atomanlagen anzugreifen. Milde Politik gegenüber Damaskus macht den Weg für das Regime Assad frei, damit es seine Macht wieder ausweiten kann. Ankara entscheidet sich wegen der zypriotischen Gas- und Öl-Vorkommen im östlichen Mittelmeer eine Krise zu provozieren.
Die größte vor uns liegende Frage lautet, wie das amerikanische Volk in seiner Weisheit die Obama-Doktrin beurteilen wird, wenn sie in 19 Monaten Es nächste Mal einen Präsidenten wählt. Werden die Amerikaner seine Politik der Ausflüchte und Buße verwerfen, wie sie das vergleichbar 1980 machten, als sie Ronald Reagan statt Jimmy Carter wählten? Oder werden sie sich für vier weitere Jahre davon entscheiden, womit sie die Obama-Doktrin in eine neue Norm und die Amerikaner in reumütige Masochisten nach europäischem Vorbild verwandeln?
Ihr Urteil 2016 hat möglicherweise welthistorische Konsequenzen.
Daniel Pipes (www.DanielPipes.org) Präsident des Middle East Forum. © 2014 by Daniel Pipes.