25 Juli 2015 ~ 1 Comment

Israelische Siedlungen

Immer wieder sprechen die Medien von den israelischen Siedlungen, als
seien sie homogene Entitäten und als würden die Juden dort in palästinensischen Gebieten tun und lassen, was sie wollen.

Eine Gegendarstellung

Israel zählt rund 8,2 Millionen Einwohner. Davon würden die internationalen Medien 535.000 als Siedler bezeichnen. Zahlenangaben zu den Siedlungen variieren zwischen 120 bis 150 Ortschaften, wobei die fast 100 sogenannten «Außenposten» schnell Siedlungsstatus erhalten könnten.
Diese kleinen Außenposten sind wieder eine Geschichte für sich und sollen an dieser Stelle nicht näher behandelt werden.
Auch in Israel ist die Siedlungsfrage ein Thema, an dem sich die Geister scheiden. «Groß-Israel» beschäftigte die israelische Gesellschaft schon wenige Wochen nach dem Sechstagekrieg und spielt bis heute im öffentlichen Diskurs eine Rolle. Israelis sprechen sich aus ganz unterschiedlichen Gründen für oder gegen die israelische Präsenz in dem Gebiet aus, das man heute Westjordanland nennt (in der Bibel: Judäa und Samaria). Es umfasst eine Fläche von ca. 5.800 Quadratkilometern, wo um die zwei Millionen Palästinenser leben. Obwohl sich fromme Israelis unter anderem aus religiösen Gründen mehrheitlich für eine israelische Präsenz dort aussprechen, gibt es in religiösen Kreisen auch prominente Gegner.
Dazu gehörte der 1994 verstorbene israelische Naturwissenschaftler und Religionsphilosoph Jeshajahu Leibowitz. Der orthodoxe Jude warnte unmittelbar nach dem Krieg von 1967 vor den katastrophalen Folgen einer anhaltenden Besatzung der eroberten Gebiete. Trotzdem sind viele andere Israelis, die sich weder mit dem rechtsorientierten noch mit dem religiösen Spektrum identifizieren, für eine israelische Präsenz, und zwar aus sicherheitspolitischen Erwägungen.

Kürzlich legte die UNO einen Bericht über Verletzte und Tote in der palästinensischen Bevölkerung des Westjordanlandes vor, der aufzeigt, dass es hier tatsächlich alles andere als ruhig und beschaulich zugeht.
2014 wurden 6.028 Palästinenser verletzt und 56 Palästinenser durch Sicherheitskräfte erschossen und zwei weitere durch israelische Zivilisten, die in Selbstverteidigung handelten. Berücksichtigt man, dass die Zahl der durch Schüsse verletzten Palästinenser im letzten Jahr 18 Prozent aller Verletzten ausmachte, 2013 jedoch bei nur drei Prozent lag, so muss man festhalten, dass sich die Lage verschlimmert hat. Diesen Zahlen stehen 15 getötete Israelis gegenüber, wobei unklar ist, in welchen Fällen es Zivilisten oder Soldaten waren. Diese Statistik allein verstärkt den Eindruck, dass hier nicht unbedingt Recht und Ordnung herrscht, und wenn doch, so zu Gunsten der Israelis.

Es stimmt: Trotz inzwischen vieler aufgehobener Kontrollposten besteht für die palästinensische Bevölkerung keine vollständige Bewegungsfreiheit. Bauern müssen beispielsweise immer wieder feststellen, dass sie ihre Felder
nicht betreten können oder dort von jüdischen Siedlern Schäden angerichtet wurden. Es sind auch regelrechte Siedler-Kommandos bekannt, die ihre palästinensischen Nachbarn drangsalieren. Doch das ist nur eine Seite und sagt auch nichts über sämtliche Siedler aus, wie wir noch sehen werden.

Die «besetzten Gebiete» des Westjordanlandes sind mitnichten der «Wilde Westen», wo Israelis tun und lassen können, was sie wollen.
So ordnete im Februar 2015 der Oberste Gerichtshof des Staates Israel an, neun bereits seit einigen Jahren bewohnte Wohnhäuser in der 3.500 Seelen zählenden Siedlung Ofra in Samaria abzureißen. Damit wurde einer Klage von
zwei israelischen Bürgerrechtsorganisationen und fünf palästinensischen Eigentümern stattgegeben, die gegen den Häuserbau auf palästinensischen Privatländereien geklagt hatten. Und Anfang März 2015 stellte das israelische
Militär eine Verwaltungsorder aus, laut der Meir Ettinger ein Jahr lang das Westjordanland nicht betreten darf, wogegen er einstweilen Berufung einlegte. Ettinger ist der Enkel des 1990 ermordeten Rabbiners Meir Kahane, der der Gründer der rechtsextremistischen und in Israel unter anderem wegen Rassismus verbotenen Kach-Partei war.

Korrekt bezeichnet sind die sogenannten «besetzten Gebiete» eigentlich umstrittene Gebiete. Dort herrscht zwar nicht eitel Sonnenschein, erst recht nicht angesichts der wirtschaftlichen Lage der Palästinenser und der vielen von der Palästinensischen Autonomiebehörde vernachlässigten Infrastrukturen (trotz der horrenden Fördersummen, die sie bekommt). Doch zugleich zeigen einige Beispiele, dass es hier auch anders zugeht als in den meisten Medien berichtet. Ortsunkundigen Ausländern fällt meistens sofort auf, dass israelische Siedlungen für gewöhnlich auf den oberen Abschnitten von Hügeln liegen. Das veranlasst dann zum Kommentar: «Gut zu verteidigen.» Doch dieser Umstand bedarf einer Erklärung:

Die arabischen Einwohner der Region registrierten ihre Ländereien erstmals offiziell unter den Osmanen. Sie ließen vor allem fruchtbare Böden in die Register eintragen, und das sind in der Regel Täler, in die Wasser fließt. Viele jüdische Siedlungen begannen dagegen klein, oftmals initiiert von wenigen Leuten, die sich Ländereien suchten, die «herrenlos» waren – sprich: Hügelkuppen. Dennoch muss man aber auch zur Vollständigkeit des Bildes erwähnen, dass das nicht heißt, dass keine Landenteignungen stattgefunden hätten oder nicht weiter stattfinden würden. Gegenwärtige Enteignungen dienen allerdings nicht zwangsläufig dem Siedlungsbau, sondern – wie vor rund einem Jahr in der Region Gush Etzion geschehen – zum Ausbau der Straßeninfrastruktur, und zwar für beide dort lebenden Bevölkerungsgruppen.
Die ersten israelischen Siedlungen entstanden in den frühen 1970er-Jahren, die meisten jedoch in den 1980er- Jahren. Das heißt, die Siedlungen im Westjordanland sind über lange Zeit etablierte, jüdisch geprägte Wohngebiete.

In einigen Regionen, wie in der Patriarchenstadt Hebron, leben gar seit biblischen Zeiten Juden, und dies nur mit wenigen Unterbrechungen (eine Unterbrechung infolge eines Massakers war 1929 bis 1967). Bei Siedlungen ist man geneigt, an Dörfer oder im besten Fall an Städtchen zu denken, was zumindest auf die Hälfte der Ortschaften zutrifft, denn sie zählen weniger als 1.000 Bewohner. Es stechen jedoch vier Orte mit Stadtstatus hervor:
Modi’in Illit mit fast 50.000 Einwohnern, Beitar Illit mit über 37.000 Einwohnern, Ma’ale Adumim mit ca. 35.000 und Ariel mit über 18.000 Einwohnern. Anhand dieser Siedlungen lässt sich auch veranschaulichen, dass es sich um Orte handelt, deren Einwohner nicht dem oftmals in den Medien porträtierten Bild des Siedlers entsprechen – ideologisch motiviert, fromm und/oder rechtsgerichtet sowie kampfbereit bis aggressiv. Das in Samaria liegende, 1978 gegründete Ariel zählt eine mehrheitlich säkulare Bevölkerung. Bei der Hälfte der Einwohner handelt es sich um aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion zugewanderte Juden, unter denen auch Nichtjuden sind. Wer einmal zur Weihnachtszeit in Ariel ist, wird dort zum Beispiel Weihnachtsdekorationen entdecken. Zur Stadt gehört auch eine kleine messianische (judenchristliche) Gemeinde. Ariel kann seit 1982 eine akademische Hochschule vorweisen, die heute rund 15.000 Studenten zählt und unter denen mehrere Hundert israelische Araber sind.
Ma’ale Adumim liegt vor den Toren Jerusalems. 1975 von rund zwei Dutzend Familien gegründet, erhielt sie 1991 Stadtstatus. Wegen der Nähe zu Jerusalem und der zugleich attraktiven, von der Regierung gesteuerten Immobilienpreise ist die Stadt mit biblischem Namen (einer Ortsbeschreibung im Buch Josua entnommen) insbesondere für junge Familien interessant. Auch Ma’ale Adumim zählt eine mehrheitlich säkulare Bevölkerung.
Die Stadt spürt seit einiger Zeit Veränderungen im angegliederten Industriegebiet Mishor Adumim. Einer der größten Arbeitgeber, SodaStream (1.300 Beschäftigte), baut aufgrund des politischen Drucks eine Produktionsstätte im Negev auf und hat bereits Entlassungen vorgenommen.
Das betrifft alle Angestellten gleichermaßen: die 350 jüdischen Israelis, 450 arabischen Israelis und 500 Palästinenser. Blickt man nach Modi’in Illit, so zeigt sich ein anderes Bild: 1994 auf halbem Weg zwischen Jerusalem und Tel Aviv gegründet, ist eine der am schnellsten wachsenden Siedlungen Israels, was weder auf Zuzug noch Bauaktivitäten zurückzuführen ist, sondern spezifischen Bevölkerungscharakteristika entspringt.
2006 erreichte die Stadt eine Geburtenziffer von acht Kindern je Frau. Das ist der höchste Wert in ganz Israel, denn die Bevölkerung ist mehrheitlich ultraorthodox. Ähnliches gilt auch für Beitar Illit.

Diese wenigen Beispiele zeigen auf, wie vielfältig die Siedlungsbevölkerung eigentlich ist. Um das Bild noch etwas bunter zu machen, sei noch die Siedlung Efrat erwähnt.
In Efrat zu wohnen, ist – anders als in Ariel oder Ma’ale Adumim – ein ideologisch-politisches Statement. 2015 stimmten dort 55 Prozent der Einwohner für Bennets Partei mit Gross-Israel-Anspruch und 31 Prozent für die rechtsgerichtete Likud.
Efrat ( vgl. 1.Mo 35,19; Mi 5,1) gehört zum Siedlungsgürtel Gush Etzion und wurde 1980 gegründet. Es zählt rund 7.500 Bewohner und ist – trotz seiner ideologischen Ausrichtung – eine jener Siedlungen, die für alle frei zugänglich sind. Das heißt: Rabbiner Shlomo Riskin, einer der Efrat-Mitbegründer, redet nicht nur über Koexistenz, sondern lebt sie auch:
Kein Zaun grenzt die Siedlung von den palästinensischen Dörfern – Bethlehem und Beit Jala – ab, auf Post und Bank und in den Geschäften sieht man palästinensische Kunden. Und in Efrat befindet sich auch die einzige Erste-Hilfe-Station der Umgebung, und diese steht natürlich auch palästinensischen Bürgern offen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch Avi Na’im, Bürgermeister der Kommunalverwaltung Beit Aryeh-Ofarim in Samaria, der Anfang 2014 wiederholt Morddrohungen von radikalen Islamisten erhielt.
Für ihren Geschmack baut er nämlich zu gute Beziehungen zu den arabischen Nachbardörfern auf. Ebenfalls Anfang 2014 konnte man aus der israelischen Presse erfahren, dass zwei Palästinenser in Beit Aryeh-Ofarim Zuflucht fanden. Sie gaben an der Zufahrt an, von PA-Sicherheitskräften verfolgt zu werden, die sie ermorden wollten. Sie wurden eingelassen, parallel dazu israelische Sicherheitskräfte herbeigerufen, die in der Umgebung tatsächlich vier bewaffnete PA-Polizisten entdeckten. Diese hielten sich dort illegal auf, weil laut geltenden internationalen Verträgen Beit Aryeh-Ofarim in einem Gebiet mit Status C liegt, das in jeder Hinsicht Israel untersteht.
So ist das Bild im Westjordanland doch einerseits weniger einheitlich und andererseits wesentlich komplexer, alses die westlichen Medien allgemeinhin zeichnen.

Antje Naujoks
http://www.israelnetz.com/

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One Response to “Israelische Siedlungen”

  1. quo vadis sagt:

    Diesen Bericht zu lesen, wäre allen Redaktionsstuben, die oftmals ein einseitiges und für Israel nachteiliges Bild in der Öffentlichkeit zeichnen, als Pflichtlektüre aufzugeben.

    Auch, um daran zu erinnern, dass eine seriöse Berichterstattung, auf die der Leser Anspruch hat, immer eine fundierten Recherche voraussetzt.

    An diesen Grundsatz guten Journalismus zu erinnern, sollte eigentlich gar nicht notwendig sein.

    Leider ist das aber nicht so.

    Warum? Wahrscheinlich deshalb, weil auch hier – wie anderswo auch – sprichwörtlich der Teufel im Detail sitzt.


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