Darum meiden Flüchtlinge die Golfstaaten
Die Emirate, Katar, Kuwait und Saudi-Arabien stehen in der Kritik, weil sie kein Asyl gewähren. Wäre der Golf nicht naheliegender für arabische Kriegsflüchtlinge?
Der Gedanke klingt nachvollziehbar. Doch beide Seiten halten nicht viel von der Idee.
Warum die arabischen Golfstaaten nicht auch ein paar Hunderttausend oder Millionen Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten des Nahen Ostens aufnehmen, fragen derzeit viele, auch Leser von n-tv.de.
Die Frage stellen mitunter diejenigen, die die Aufnahme von Millionen muslimischer Flüchtlinge in Deutschland und anderen EU-Staaten als Zumutung empfinden.
Der Verweis auf die reichen Golfmonarchien, die zudem auch noch im Ruf stehen, Terrorgruppen in Syrien mitzufinanzieren, gehört zu den beliebten Abwehrargumenten. Während dahinter u.U. wenig menschenfreundliche Gedanken stehen, hat die Frage nach der Verantwortung der Golfstaaten einige Berechtigung.
Der Blogger Sultan Al-Kassemi aus den Emiraten rief die reichen arabischen Staaten zu einer „moralischen und verantwortungsvollen Initiative“ auf.
Ende August wurde ein arabischer Hashtag zum Trend, der übersetzt heißt: „Die Aufnahme syrischer Flüchtlinge ist die Pflicht der Golfstaaten“. Darin verbreiteten Twitternutzer Bilder und Geschichten vom Elend der Syrer. Auslöser der jüngsten Empörungswelle über die Untätigkeit der Golfaraber waren ausgerechnet die Bilder von hilfsbereiten Deutschen und Österreichern, die um die Welt gingen.
Zahlen zeigen die absurd erscheinenden Zustände: Während die unmittelbaren Nachbarn Syriens insgesamt mehr als 4 Millionen Flüchtlinge nur aus Syrien versorgen, haben Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait, Katar und Bahrain haben insgesamt ein paar Hundert aufgenommen. In der Türkei leben fast 2 Millionen, im Libanon 1,1 Millionen, in Jordanien fast 630.000, in Ägypten immerhin 130.000 und im Irak, selbst Kriegsgebiet, kamen 250.000 Syrer unter. All diese Zahlen beziehen sich nur auf die beim UN-Flüchtlingshilfswerk registrierten Flüchtlinge und können tatsächlich viel höher liegen. Laut der Internationalen Organisation für Migration haben seit Beginn des Jahres außerdem 356.000 Menschen das Mittelmeer in Richtung Europa überquert.
Golfstaaten bevorzugen nicht-aufmüpfige asiatische Gastarbeiter
Alle oder einen Großteil dieser Flüchtlinge an den Golf zu schicken, würde allerdings aus mehreren Gründen nicht funktionieren. Die riesige Schieflage bei der Bewältigung der größten Flüchtlingskrise der letzten Jahrzehnte ist kein Zufall und beruht auch auf gegenseitigen Vorbehalten. Die Golfstaaten geben zwar relativ großzügig Geld für die UN-Flüchtlingshilfe oder schicken direkt ihre eigenen Hilfsorganisationen nach Jordanien oder in den Libanon. Diese sind meist sunnitisch-islamisch und bringen ihre religiöse Agenda gleich mit.
(Nefesch: auch finanzieren sie großzügig den Bau von Moscheen in Europa.) Flüchtlinge beziehungsweise Asylbewerber nehmen diese arabischen Staaten dennoch nicht auf. Sie mischen in Syrien mit, sind zum Teil Mitglieder der Anti-IS-Koalition und unterstützen religiöse Milizen in Syrien. Die humanitären Folgen wollen sie aber nicht bei sich sehen. Sie haben die Genfer Konvention nicht unterzeichnet, auf der das europäische Asylrecht basiert. Wer einreisen will, muss deshalb unterschiedslos ein Visum vorweisen. Diese Visa sind sehr teuer und selbst der Nachzug von Verwandten ist schwierig zu verwirklichen.
Die Golfstaaten beschäftigen zwar Millionen Gastarbeiter, doch zumeist aus süd- und südostasiatischen Ländern. Diese Menschen arbeiten vor allem in Niedriglohnbranchen, für die die Einheimischen kein Interesse haben. Die Einwanderung von Asiaten hat mittlerweile Tradition und die Gesellschaften am Golf geprägt, es ist ein Nebeneinander, bei dem die Kräfteverhältnisse klar sind: Die Einheimischen sind zwar in der Minderheit, aber im Besitz der Bürgerrechte. Die anderen arbeiten nur.
An einer größeren Menge syrischer Einwanderer haben die Golfstaaten dagegen kein Interesse. Sie halten sie schlicht für ein Sicherheitsrisiko und argwöhnen, die Syrer könnten ihre Bürger mit dem letzten Rest ihres revolutionären Geistes von 2011 infizieren. Ebenso fürchten die islamisch-konservativen Staaten einen Import der konfessionellen Konflikte in Syrien, die Saudi-Arabien und Katar auf den Schlachtfeldern selbst mit anheizen. Schließlich besteht in den Golfstaaten eine geradezu paranoide Terrorangst, die im Widerspruch zur Unterstützung von religiösen Kampfgruppen in Syrien steht. Sie wollen also weder freiheitsliebende noch religiös radikalisierte Menschen aufnehmen.
Reichtum ist nicht alles
Doch auch umgekehrt ist die Sympathie nicht besonders groß. Anschläge des Islamischen Staates auf Moscheen hat es bereits in Saudi-Arabien und Kuwait gegeben. Vor dem IS fliehen aber auch viele Syrer. Zudem stehen die sunnitischen Golfstaaten in einem Konkurrenzkampf mit dem schiitischen Iran und bombardieren den Jemen. Warum also sollten Syrer in eine Region fliehen, die alles andere als stabil ist? Besonders die Familien unter den Flüchtlingen suchen mehr als nur einen Unterschlupf. Sie suchen eine Zukunft für ihre Kinder, Arbeit und ein Leben in einem freien Land. All das bietet derzeit eben nur Europa und das gelobte Land heißt – nicht erst seit dem beeindruckenden Willkommenswochenende von München – Deutschland.
Zudem existiert die religiös-kulturelle Nähe zwischen den Golfstaaten und der Levante nicht so, wie mitunter behauptet wird. Syrien war vor dem Bürgerkrieg ein Vielvölkerstaat mit Christen und Muslimen unterschiedlicher Konfessionen. Die religiöse Einfalt am Golf dürfte allen Nicht-Sunniten nicht attraktiv erscheinen. Wie in vielen Teilen der arabischen Welt schauen auch die Levantiner verächtlich auf die Araber vom Golf und geißeln deren Doppelmoral. Vor dem Krieg rümpften Syrer, auf die von dort kommenden Touristen angesprochen, meist die Nase. Ihr Bild von den reichen Scheichs war geprägt von deren Vorliebe, den Sommer in Mittelmeerbadeorten zu verbringen und sich mit Prostituierten zu vergnügen.
Das Thema Flüchtlingshilfe ist dennoch auch in den schweigsamen Golfstaaten auf die Agenda gekommen. „Leider haben die reichen Golfstaaten keine einzige Erklärung zur Krise abgegeben, geschweige denn eine Strategie zur Hilfe der Flüchtlinge vorgeschlagen“, kommentierte kürzlich die katarische Tageszeitung „Gulf Times“. „Dabei sind die meisten Flüchtlinge Muslime.“
Doch rechnet kaum ein Experte mit einem Umdenken in Riad, Abu Dhabi oder Doha. „Die große Mehrheit der Bevölkerungen am Golf finden den Kurs ihrer Regierungen gut“, sagte Michael Stephens vom Institut Rusi der Nachrichtenagentur AFP.
Von Nora Schareika
http://www.n-tv.de/politik/Darum-meiden-Fluechtlinge-die-Golfstaaten-article15904431.html