18 November 2015 ~ 0 Comments

Nahost-Provokationen und -Vorhersagen

von Daniel Pipes Mackenzie Institute 9. September 2015
Englischer Originaltext: Middle East Provocations and Predictions
Übersetzung: H. Eiteneier

Der Nahe Osten sticht als die explosivste, entflammbarste und aufgewühlteste Region der Welt heraus; es ist kein Zufall, dass er auch zu den intensivsten politischen Debatten inspiriert – denken Sie an den arabisch-israelischen Konflikt oder den Iran-Deal. Der folgende große Überblick bietet Interpretationen und Spekulationen zum Iran, ISIS, Syrien-Irak, den Kurden, der Türkei, Saudi-Arabien, Ägypten, Israel, dem Islamismus und schließt dann mit einigen Gedanken zu politischen Entscheidungen.
Meine Schlussfolgerung in einem Satz: Hinter dem Ansturm der Missverständnisse, den Fehlern und dem Elend finden sich ein paar gute Nachrichten.

Iran
Der Iran ist dieser Tage Thema Nr. 1, besonders seit dem mit den sechs Großmächten in Wien am 14. Juli erzielten Atom-Deal. Der „Joint Comprehensive Plan of Action“ (Gemeinsamer, umfassender Aktionsplan) will Teheran aus der Kälte holen, Jahrzehnte der Feindseligkeit beenden und den Iran dazu bewegen ein normalerer Staat zu werden. An sich ist das ein völlig würdiges Bemühen.
Das Problem liegt in der Ausführung, die scheußlich gewesen ist und eine aggressive Regierung mit Legitimität und zusätzlichem Geld belohnte, statt ernsthafte Sicherheitsmaßnahmen zu ihrem Atomwaffenprogramm zu verlangen; außerdem wird das Programm in etwa einem Jahrzehnt zugelassen. Die Annalen der Diplomatie haben nie eine vergleichbare Kapitulation von Großmächten vor einem isolierten, schwachen Staat verzeichnet.
Die iranische Führung hat eine apokalyptische Denkweise und ist vom Ende der Tage besessen, was für die Nordkoreaner, Stalin, Mao, die Pakistanis oder irgendjemand sonst nicht gilt.
Der Oberste Revolutionsführer Ali Khamenei et.al. haben Grund diese Waffen für Zwecke einzusetzen, die außerhalb der normalen militärischen Belange liegen. Das macht es besonders dringend sie zu aufzuhalten.

Aus Wirtschaftssanktionen wird jedoch ein Nebenkriegsschauplatz, sogar eine Ablenkung. Die Regierung des Iran ist in ihrer absoluten Hingabe an den Bau dieser Waffen und ihrer Bereitschaft alles dafür in Kauf zu nehmen, ob es nun eine Massenhungersnot oder eine andere Katastrophe deswegen gibt, mit den Nordkoreanern vergleichbar. Daher machen Sanktionen, egal wie streng sie angewendet werden, das Leben für die iranische Führung nur schwieriger, ohne den atomaren Aufbau tatsächlich zu stoppen.

Der einzige Weg den Aufbau zu stoppen, führt über den Einsatz von Gewalt. Ich hoffe, die israelische Regierung – die einzig übrig gebliebene, die wohl handeln würde – wird diese gefährliche und undankbare Aufgabe übernehmen. Sie kann das durch Luftangriffe, Einsatz von Spezialkräften oder Atomwaffen tun, wobei die zweite Option die attraktivste und schwierigste ist.
Wenn die Israelis die Bombe nicht stoppen, wird eine Atomwaffe in der Hand der Mullahs erschreckende Folgen für den Nahen Osten und darüber hinaus haben, auch für Nordamerika, wo ein verheerender Angriff mit elektromagnitischem Puls als möglich betrachtet werden muss.
Wenn die Iraner dagegen ihre neuen Waffen nicht einsetzen, ist es einfach möglich, dass sie zunehmend Kontakt mit der Welt draußen aufnehmen und die von widersprüchlicher westlicher Politik verursachte Störung daran arbeitet das Regime zu untergraben.

ISIS
Der Islamische Staat im Irak und Syrien (aka ISIS, ISIL, Islamischer Staat, Daisch) ist das Thema, das neben dem Iran die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich stimme Ron Dermer zu, dem israelischen Botschafter in Washington, dass der Iran tausendmal gefährlicher ist als ISIS. Aber ISIS ist auch tausendmal interessanter. Dazu kommt, dass die Obama-Administration ihn als nützlichen Buhmann für die eigene Zusammenarbeit mit Teheran ausgemacht hat.
Die Gruppe kam fast aus dem Nichts; seitdem hat sie die islamische Nostalgie in ein nicht vorstellbares Extrem gebracht. Die Saudis, die Ayatollahs, die Taliban, Boko Haram und Al-Schabaab haben allesamt ihre eigene Version einer mittelalterlichen Ordnung verhängt. Aber ISIS ging weiter, indem sie ein islamisches Umfeld aus dem siebten Jahrhundert so gut es ihr möglich ist kopierte, bis hin zu Einzelheiten wie öffentlicher Enthauptungen und Versklavung.
Dieser Aufwand hat zwei gegensätzliche Reaktionen bei Muslimen ausgelöst. Eine ist positiv, wie sich daran manifestiert, dass Muslime aus Tunesien und dem Westen kommen, wie Motten vom Licht angezogen von einer weißglühend reinen Vision des Islam.
Die andere, wichtigere Reaktion ist negativ. Die große Mehrheit der Muslime, ganz zu schweigen von Nichtmuslimen, werden von dem gewalttätigen und überladenen ISIS-Phänomen verprellt. Langfristig wird ISIS der islamischen Bewegung (derjenigen, die danach strebt das islamische Recht in seiner Gesamtheit anzuwenden) und dem Islam selbst schaden, weil Muslime in großer Zahl ISIS verabscheuen.

Eines wird in Sachen ISIS jedoch bleiben: Die Idee des Kalifats. Der letzte Kalif, der tatsächlich Befehle gab, herrschte in den 940-er Jahren. Das heißt 940-er, nicht 1940-er – vor mehr als eintausend Jahren. Das Wiederaufkommen eines leitenden Kalifen nach Jahrhunderten mit Repräsentations-Kalifen hat unter Islamisten beträchtliche Begeisterung ausgelöst. In westlichen Begriffen ist das so, als würde das Römische Imperium auf einem Teil des Territoriums Europas wiederhergestellt; das würde die Aufmerksamkeit aller erhalten. Ich sage voraus, dass das Kalifat dauerhaften und negativen Einfluss haben wird.

Syrien, der Irak und die Kurden
In gewissen Kreisen werden Syrien und der Irak inzwischen Suraqiya genannt, ein Zusammenschluss der beiden Namen, da die Grenze praktisch nicht mehr besteht und beide gleichermaßen in drei Hauptregionen geteilt sind: eine schiitisch orientierte Zentralregierung, eine sunnitisch-arabische Rebellion und einen kurdischen Teil, der den Staat verlassen will.
Das ist eine positive Entwicklung; es gibt nichts Heiliges am britisch-französischen Sykes-Picot-Abkommen von 1916, das diese beiden Staatswesen schuf. Eher im Gegenteil: Diese Vereinbarung hat sich als elender Fehlschlag erwiesen; man braucht nur die Namen Hafez al-Assad und Saddam Hussein in Erinnerung zu rufen, um sich an das Warum zu erinnern. Diese elenden Staaten existierten zum Nutzen ihrer monströsen Führer, die sich damit beschäftigen ihre eigenen Untertanen ermorden.
Also lasst sie in drei Teile auseinanderbrechen, verbessert die Dinge für die Einheimischen und die Welt draußen.

Während von der Türkei gestützte sunnitische JIhadisten vom Iran gestützte schiitische Jihadisten in Suraqiya bekämpfen, sollte der Westen sich aus dem Kampf heraushalten. Keine Seite verdient Unterstützung; das ist nicht unser Kampf. Dass diese beiden üblen Kräfte einander an die Gurgel gehen, bedeutet tatsächlich, dass sie weniger Gelegenheit haben aggressiv gegen den Rest der Welt vorzugehen. Wenn man helfen will, sollte es Hilfe sein, die zuerst den vielen Opfern des Bürgerkriegs zugute kommt; wenn wir helfen wollen, sollte wir strategisch vorgehen und der Seite helfen, die gerade verliert (so dass keine Seite gewinnt).

Was den massiven Flüchtlingsstrom aus Syrien angeht: Westliche Regierungen sollten keine große Zahl aufnehmen, sondern stattdessen Saudi-Arabien und andere reiche Nahost-Staaten unter Druck setzten ihnen Zuflucht anzubieten. Warum sollten die Saudis von dem Flüchtlingsstrom ausgenommen sein, insbesondere wenn ihr Land gegenüber – sagen wir – Schweden viele Vorteile hat: sprachliche, kulturelle und religiöse Kompatibilität sowie Nähe und ein ähnliches Klima.

Das rasche Entstehen eines kurdischen Gemeinwesens im Irak, gefolgt von einem in Syrien, sowie einer neuen Selbstbehauptung in der Türkei und Gepolter im Iran sind positive Zeichen. Die Kurden haben sich als auf eine Art verantwortungsvoll erwiesen, die es bei keinem ihrer Nachbarn gibt. Ich sage das als jemand, der vor 25 Jahren gegen die kurdische Autonomie war. Lasst uns den Kurden helfen, die ein so enger Verbündeter sind, wie man ihn im Nahen Osten nur haben kann. Es sollten nicht nur getrennte kurdische Einheiten zustande kommen, sondern auch ein geeintes Kurdistan aus allen vier Ländern gebildet werden. Dass das die territoriale Integrität dieser Staaten beeinträchtigt, stellt kein Problem dar, da keiner von ihnen nach derzeitiger Beschaffenheit gut funktioniert.

Die Türkei
Die Wahlen vom Juni 2015 gingen für die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (Adalet ve Kalkınma Partisi oder AKP), die die Türkei seit 2002 alleine regiert, nicht sonderlich gut aus. Sie ist eine islamistische Partei, aber – was neuerdings wichtiger ist – die Partei der Tyrannei. Recep Tayyip Erdoğan, ihre dominierende Persönlichkeit, handelt nach Gutdünken und gewinnt unzulässigen Einfluss auf die Banken, die Medien, die Schule, die Gerichte, die Strafverfolgungsbehörden, die Geheimdienste und das Militär. Er setzt Block für Block mit dem Aufbau einer Einpersonen-Herrschaft Bräuche, Regeln, Vorschriften und sogar die Verfassung außer Kraft. Er ist die Nahost-Version von Venezuelas Hugo Chávez.

Zumeist hat Erdoğan nach demokratischen Spielregeln gespielt, über Wahlen und das Parlament, das ihm gut gedient hat. Aber die Wahlen vom Juni könnten das Ende seiner Selbstbeschränkung bedeuten. Vor langer Zeit, als Bürgermeister von Istanbul, signalisierte er, dass er letzten Endes das Urteil von Wahlen nicht anerkennt; so erklärte er, die Demokratie sei wie ein Bus: „Du fährst damit, bis du an deinem Ziel ankommst, dann steigst du aus.“ Er hat jetzt dieses Ziel erreicht und scheint bereit zu sein auszusteigen. Er hat als üble Wahltaktik (um die türkischen Nationalisten für sich zu gewinnen) Feindseligkeiten gegen die kurdische PKK initiiert; er könnte so weit gehen, zwischen heute und den vorgezogenen Neuwahlen am 1. November einen Krieg anzufangen und eine Bestimmung in der Verfassung ausnutzen, mit der Wahlen in Kriegszeiten verschoben werden können.
Entsprechend wird der Rückschlag bei den Wahlen vom Juni sich für Erdoğan nicht als sonderliches Hindernis erweisen; der Weg in die Tyrannei steht ihm weiter offen.
Erdoğan aus dem Amt zu nehmen wird wahrscheinlich nicht wegen Innenpolitischem erfolgen, auch wird es nicht mit relativen Trivialitäten wie Wählerstimmen zu tun haben; es wird durch Außenpolitisches kommen und größere Probleme betreffen. Eben weil er innenpolitisch so viel getan hat, hält er sich für einen Meisterpolitiker auf der globalen Bühne und verfolgt eine Außenpolitik, die so aggressiv ist wie er selbst. Aber nach einigen Anfangserfolgen der „Keine Probleme mit den Nachbarn“-Politik liegt das internationale Ansehen der Türkei am Boden. Ankara hat mit jedem Nachbarn schlechte Beziehungen oder große Probleme: Russland, Aserbaidschan, dem Iran, Syrien, dem Irak, Israel, Ägypten, dem griechischen Zypern, dem türkischen Zypern und Griechenland, ebenso mit den Vereinigten Staaten und China. Einige außenpolitische Eskapaden werden wahrscheinlich dafür sorgen, dass Erdoğan von der Macht gebracht wird.

Saudi-Arabien
Saudi-Arabien ist das ungewöhnlichste Land der Welt. Selbst wenn man, sagen wir, aus Qatar oder Abu Dhabi ist, sind seine moralischen und Regierungsinstitutionen seltsam. Dort gibt es zum Beispiel nicht ein einziges Kino. Männer und Frauen benutzen getrennte Aufzüge. Nichtmuslimen ist das Betreten zweier seiner Städte (Mekka und Medina) verboten. Seine Sittenpolizei terrorisiert die Bevölkerung. Christen bekommen Schwierigkeiten wenn sie beten, Juden werden mit seltenen Ausnahmen erst gar nicht ins Land gelassen.
Die Regierung betreibt einen machtvollen, fachkundigen Polizeistaat mit wenig Vorspiegelung von Wahlen, einer Verfassung oder anderem Theater von Diktaturen. Er überwacht, zensiert und mischt sich ein. Die Polizeikotrollpunkte breiten sich stark aus. Die Regierung beschäftigt drei unterschiedliche Militärkräfte – pakistanische Söldner zum Schutz der Ölfelder, eine nationale Armee zum Schutz der Grenzen und eine Stammesgarde zum Schutz der Monarchie. Monarchien haben normalerweise eine Königsfamilie mit 10, 20 oder sogar 50 Mitgliedern; Al-Saud hat um die 10.000 Männer (Frauen zählen politisch nicht) und diese bilden eine Nomenklatur, um diesen hilfreichen sowjetischen Begriff zu verwenden. Familienmitglieder führen das Land, das der einzige Familienbetrieb genannt wird, der einen Sitz bei den Vereinten Nationen hat.
Doch diese Struktur ist jetzt in Gefahr. 70 Jahre lang hat die Monarchie auf die US-Regierung vertraut, wenn es um äußere Sicherheit ging. Heute, im Zeitalter Obamas, gibt es diese Garantie zum ersten Mal nicht mehr, besonders nicht nach dem Iran-Deal, bei dem Washington sich enger an Teheran anschloss als an Riyadh. Die saudische Führung unternimmt Schritte zum Selbstschutz, von denen der beachtenswerteste der ist mit Israel zusammenzuarbeiten. Das ist ein logischer Schritt, aber er erstaunt doch immer noch etwas. Meine Vorhersage: Er ist ein vorübergehender und wird die Krise nicht überstehen. Sollte 2017 ein Republikaner Präsident werden, wir die Beziehung zu Israel beendet werden.

Ägypten
Abdel Fattah el-Sisi ist jetzt seit zwei Jahren an der Macht, seit dem Juli 2013, nach einer massiven Demonstration gegen den Muslimbruderschaft-Präsidenten Mohamed Morsi. Sisi hat die richtigen Prioritäten im Auge: Unterdrückung der Islamisten und die Wirtschaft in Ordnung zu bringen. Aber ich mache mir Sorgen über das, was er in beiden Bereichen erreichen wird.
Niemand hasst die Islamisten mehr als ich. Ich befürworte Maßnahmen zur Bekämpfung dieser totalitären Bewegung; so lehne ich ihre Bemühungen ab das islamische Recht anzuwenden; ich bin dafür sie aus Mainstream-Institutionen und ihre Repräsentanten von Wahlen auszuschließen. Doch Sisis schwerfällige und außerrechtliche Politik geht zu weit und ist kontraproduktiv. Zum Beispiel: fast 600 Personen wegen des Mordes an einem Polizisten zum Tod zu verurteilen, einen Monat später gefolgt von der Verurteilung von weiteren 700 Menschen wegen desselben Mordes, ist nicht nur massiv unverhältnismäßig, sondern wird wahrscheinlich auch nach hinten losgehen und den Islamisten helfen Sympathien zu gewinnen.
Die Wirtschaft ist das andere große Problem. In den 1950-er Jahren setzte Gamal Abdel Nasser, auch ein Offizier des Militärs, ein sozialistisches Regime ein, das für die damalige Zeit typisch war; es gab große Fabriken nach Art der Sowjets, die auf schlechte Weise versuchten Importe zu ersetzen. Das System ist nicht nur immer noch vorhanden, sondern die Rolle, die der Staat in der Wirtschaft spielt, wuchs unter Mubarak beträchtlich und wächst unter Sisi weiter. Beide Präsidenten halten pensionierte Militärkollegen bei Laune, indem sie ihnen Pfründe geben. „Du bist ein pensionierter Oberst? Gut, übernimm diese Baumwollfabrik.“ Oder: „Fang an diese Stadt in der Wüste zu bauen.“ Schätzungen legen nahe, dass etwa 25 bis 40 Prozent der ägyptischen Wirtschaft als Teil dieser „Militär GmbH“ hinkt.
Zudem schafft eine Geringschätzung der Landwirtschaft enorme Probleme, so dass Ägypten, sowohl in absoluten als auch relativen Begriffen einen größeren Anteil seiner Kalorienaufnahme importiert als jedes andere Land. Die Zahlen für das Finanzjahr 2013/14 zeigen z.B., dass Ägypten 5,46 Millionen Tonnen Weizen importierte – 60 Prozent des Gesamtverbrauchs des Landes; das macht es zum größten Importeur von Weizen. Einst der Brotkorb am Nil, kann Ägypten sich nicht länger selbst ernähren, sondern ist von den Saudis und anderen abhängig, um im Ausland Lebensmittel zu kaufen. Der jüngste Gasfeld-Fund im Mittelmeer wird helfen, das Problem aber nicht lösen.
Sisi scheint genauso unvorbereitet, um als Präsident Ägypten zu regieren, wie ein anderer Militär vor 60 Jahren auch, Gamal Abdel Nasser. Der amerikanische Analyst Lee Smith formulierte das in seiner bissigen Analyse so:
Es ist kein Zufall, dass ein Ägypten im Niedergang einen Mann wie Sisi bekommt, der einen Schritt nach vorne macht. Stolz und inkompetent betrachtet sich Sisi dennoch als Teil eines Kontinuums großer ägyptischer Führer wie Nasser und Anwar al-Sadat. Sisi sagte einem Journalisten in einem vertraulichen Interview, das man an die Medien durchsickern ließ, er habe 35 Jahre lang von seiner eigenen Größe geträumt.
Aber die vielen Entscheidungen, die Sisi traf, um dorthin zu kommen, zeigen, dass er der Sache auf gefährliche Weise nicht gewachsen ist.
Er ist immer noch obenauf, hat beeindruckende Beliebtheitswerte (man erinnere sich an die Kekse und Schlafanzüge die sein Gesicht tragen), aber sollte er schwächeln, wird diese Unterstützung sich schnell verflüchtigen. Die Islamisten werden seine Inkompetenz nicht weniger ausnutzen, als er Vorteile aus ihrem Versagen zog. Der Kreislauf der Staatsstreiche droht sich zu wiederholen, wobei Ägypten weiter zurückfallen wird; der Steilabfall in die Katastrophe droht gemeinsam mit der Aussicht auf massive Auswanderung näher zu kommen. Ich wünsche Sisi alles Gute, aber ich bin auf das Schlimmste gefasst.

Israel
Im November 2000 sagte Ehud Barak, Israel ähnele einer „in einem Dschungel stehenden Villa“. Ich liebe diese Formulierung; und wie viel mehr gilt sie sie heute, da sich ISIS an Israels Grenzen zu Syrien und zum Sinai befindet, der Libanon und Jordanien unter einem untragbarem Flüchtlingszustrom stöhnen, die Westbank sich in Anarchie aufgeht und der Gazastreifen auch dorthin steuert.
Jeder kennt Israels High-Tech-Fähigkeiten und militärisches Können. Doch es gibt viel mehr, das eindrucksvoll ans Außergewöhnliche grenzt.
Demografie: Die gesamte moderne, industrialisierte Welt von Südkorea bis Schweden ist nicht in der Lage sich selbst demografisch zu ersetzten; es gibt eine einzige, herausstechende Ausnahme: Israel.
Eine Gesellschaft braucht in etwa 2,1 Kinder pro Frau, um ihre Bevölkerung zu erhalten. Island, Frankreich und Irland kommen knapp heran, aber die Zahlen gehen bis Hongkong mit 1,1 Kindern pro Frau (oder nur der Hälfte dessen, was langfristig für das Überleben eines Landes notwendig ist) zurück. Nun, in Israel steht sie bei 3,0. Ja, die Araber und die Haredim erklären zum Teil diese hohe Zahl, aber es ist auch auf die säkularen Einwohner von Tel Aviv angewiesen. Es ist eine fast beispiellose Entwicklung in einem modernen Land, dass es im Verlauf der Zeit mehr Kinder hat.

Energie: Jeder kennt den alten Witz, dass Moses falsch abbog, als er Ägypten verließ. Nun, es stellt sich heraus, dass dem nicht so ist. Israel hat eine genauso große Energiereserve wie – halten Sie sich fest – Saudi-Arabien. Heute kann auf diese Ressource noch nicht richtig zugegriffen werden, es ist weit teurer und komplexer sie auszuschöpfen als Arabiens enorme und seichte Ölbecken, aber sie ist vorhanden und die Israelis werden sie eines Tages anzapfen.
Illegale Einwanderung: Für Europa braut sich – besonders während des Sommers – eine Krise zusammen, da die Länder des Mittelmeers und des Balkan zu Autobahnen aus dem Nahen Osten werden. Israel ist das einzige westliche Land, das dieses Problem durch den Bau von Zäunen bewältigte, um die Kontrolle über seine Grenze zu behalten.

Wasser: Vor zwanzig Jahren litten die Israelis, wie alle anderen im Nahen Osten, an Wasserknappheit. Sie lösten dieses Problem dann durch Einsparung, Tröpfchenbewässerung, neue Entsalzungsmethoden und intensive Wiederaufbereitung. Eine Statistik: Spanien ist das Land mit dem zweithöchsten Prozentsatz an Wiederaufbereitung, um die 18 Prozent. Israel bereitet am meisten auf, etwa 90 Prozent – fünfmal so viel wie Spanien. Heute hat Israel derart viel Wasser, dass es einiges davon in die Nachbarländer exportiert.
Insgesamt geht es Israel außerordentlich gut. Natürlich wird es von Massenvernichtungswaffen und dem Delegitimierungsprozess bedroht. Aber es hat eine Leistungsbilanz, mit der es nach meinem Dafürhalten diese Herausforderungen überstehen wird.

Islamistische Theologie: Drei Typen
Islamisten lassen sich in drei Hauptkräfte einteilen:
Schiitische Revolutionäre: Sie befinden sich, angeführt vom iranischen Regime, auf dem Kriegspfad; dabei verlassen sie sich auf Teherans Hilfe, apokalyptische Ideologie, Subversion und (irgendwann) Atomwaffen. Sie wollen die bestehende Weltordnung stürzen und durch eine islamische ersetzen, wie Ayatollah Khomeini sie sich vorgestellt hatte. Die Stärke der Revolutionäre liegt in ihrer Entschlossenheit; ihre Schwäche liegt in ihrem Minderheitenstatus, denn Schiiten machen lediglich 10 Prozent der muslimischen Gesamtbevölkerung aus und gliedern sich in eine Vielzahl Untergruppen wie die Fünfer, die Siebener und die Zwölfer auf.
Sunnitische Revisionisten: Sie nutzen im gemeinsamen Versuch die bestehende Ordnung zu stürzen vielfältige Taktiken. An einem Extrem stehen die Geisteskranken – ISIS, Al-Qaida, Boko Haram, Al-Schabaab und die Taliban, von Hass erfüllt, gewalttätig und noch revolutionärer als ihre schiitischen Gegenstücke. Die Muslimbruderschaft und die mit ihr Verbundenen (wie Präsident Erdoğan in der Türkei) bilden die Mitte; sie nutzen Gewalt nur, wenn sie als notwendig angesehen wird, ansonsten ziehen sie es vor durch das System zu gehen. Sanfte Islamisten wie der in Pennsylvania im selbst gewählten Exil lebenden türkische Prediger Fethullah Gülen übermitteln ihre Vision zu Bildung und Handel und arbeiten strikt innerhalb des Systems, aber ihre Ziele sind, trotz ihrer milden Taktiken, nicht weniger ambitioniert.
Sunniten, die den Status quo erhalten wollen: Der saudische Staat führt einen Block von Regierungen (die GCC-Mitglieder, Ägypten, Jordanien, Algerien, Marokko), von denen nur einige islamistisch sind, die an dem festhalten wollen, was sie haben und sich der Revolutionäre und Revisionisten erwehren.

Islamistische Taktiken: Gewalt vs. Gesetzeskonform
Gewalttätige Islamisten, Schiiten wie Sunniten, sind zum Scheitern verurteilt. Ihre Angriff auf Mitmuslime verprellen Glaubensgeschwister. Sie hinterfragen Nichtmuslime in genau den Bereichen, in denen diese am stärksten sind; die kombinierte Macht des Militärs, der Ordnungskräfte und der Geheimdienste kann jeden islamistischen Aufstand niederzuschlagen.
Islamistische Gewalt ist kontraproduktiv. Die Qualität ihrer Trommelschläge lehrt und bewegt die öffentliche Meinung. Mörderische Angriffe bewegen die Meinung, nicht die Analysten, die Medien oder Politiker. Ein Vorfall wie das Charlie Hebdo-Massaker in Paris rückt Wähler näher zu den antiislamistischen Parteien. Blut auf der Straße lehrt. Das ist Bildung durch Mord.

Im Gegensatz dazu sind gesetzeskonforme Islamisten, die innerhalb des Systems arbeiten, sehr gefährlich. Sie sind als respektabel angesehen, erscheinen im Fernsehen, treten als Rechtsanwälte in Gerichtssälen auf und lehren. Westliche Regierungen behandeln sie fälschlich als Verbündete gegen die Wahnsinnigen. Meine Faustformel: Je weniger gewalttätig die Islamisten, desto gefährlicher sind sie.
Daher würde ich, wäre ich ein islamistischer Stratege, sagen: „Arbeitet durch das System. Reduziert die Gewalt auf die seltenen Gelegenheiten, wenn sie einschüchtert und dem Ziel dient.“ Allerdings tun die Islamisten das nicht, zu ihrem Nachteil. Sie machen einen großen Fehler, zu unserem Nutzen.

Islamisten im Niedergang?
Die islamistische Bewegung könnte aufgrund interner Kämpfe und ihrer Unbeliebtheit auf dem Weg abwärts sein.
Noch 2012 schien sie in der Lage zu sein die vielen internen Spannungen zu überwinden – die konfessionellen (sunnitisch/schiitisch), politischen (Monarchie/Republik), taktischen (politisch/gewalttätig), die Einstellungen zur Moderne (Salafismus/Muslimbruderschaft) und die persönlich (Fethullah Gülen/Recep Tayyip Erdoğan). Seitdem können die Islamisten jedoch nicht anders als sich untereinander zu bekämpfen. Das passt in ein historisches Nahost-Muster, bei dem ein siegreiches Element dazu tendiert sich zu spalten. Kommt es der Macht nahe, sorgen Differenzen zunehmend für Uneinigkeit. Rivalitäten, die in der Opposition übertüncht werden, treten hervor, wenn die Macht in Reichweite kommt.
Zweitens bedeutet Islamisten zu kennen, sie abzulehnen. Die massiven ägyptischen Demonstrationen nach einem Jahr Herrschaft der Muslimbruderschaft bot den stärksten Beweis für diese Schlussfolgerung.
Andere Indikatoren kommen aus dem Iran (wo die große Mehrheit der Bevölkerung ihre Regierung hasst) und der Türkei (wo Stimmenzahl für die herrschende islamistische Partei gerade um 20 Prozent absank).
Sollten diese Tendenzen sich fortsetzen, kann die islamistische Bewegung keinen Erfolg haben. Mancher sieht bereits die „Postislamisierungs“-Ära kommen, so wie Haidar Ibrahim Ali aus dem Sudan:
Wir erleben das Ende der Ära des politischen Islam, die Mitte der 1970-er Jahre begann und von etwas ersetzt werden wird, was der iranische Intellektuelle Asef Bayat als „Postislamisierungs“-Ära beschrieb, in der nach einer Periode der Probeläufe die politische Lebenskraft des Islam und seine Attraktivität politisch und sozial selbst unter den glühendsten Anhängern und Enthusiasten erschöpft sind.i
Diese Probleme bieten Gründe für Optimismus, aber nicht für Selbstgefälligkeit, denn Trendlinien können sich wieder ändern. Die Herausforderungen für die Marginalisierung des Islamismus bleiben bestehen.

Drei politische Kräfte im Nahen Osten
Von einem westlichen Standpunkt aus sind die politischen Kräfte des Nahen Osten dreigeteilt: die Islamisten, die Liberalen und die Habgierigen. Jede Gruppe benötigt eine spezielle Herangehensweise.
Wir sollten absolut alles ablehnen, was islamistisch ist. So weit wie möglich bedeutet das, dass man nicht mit Islamisten verkehrt und Islamisten niemals hilft, ob so scheinbar demokratische wie die herrschende Partei in der Türkei oder so wahnsinnige wie die ISIS-Milizen, denn sie alle streben dasselbe üble Ziel an: das islamische Recht durchzusetzen. Lassen sie uns, so wie wir durch und durch antifaschistisch sind, ähnlich resolut antiislamistisch sein. Abgesehen davon haben wir wichtige Beziehungen zur Türkei, Saudi-Arabien und anderen Staaten, daher erfordert die Staatsraison taktische Kompromisse.
Stattdessen sollten wir immer diejenigen vorziehen, die Liberale, Moderne, Säkulare oder Tahrir-Platz-Typen genannt werden; sie streben einen besseren Nahen Osten an und sind die Hoffnung der Region. Wir im Westen sind ihr Vorbild; sie blicken wegen Moral und praktischer Versorgung auf uns. Der Westen muss ihnen beistehen, so weit entfernt die Korridore der Macht und so aussichtslos die Umstände für sie auch sein mögen – sie weisen auf eine besser Zukunft hin.
Die dritte Gruppe, die habgierigen Könige, Emire, Präsidenten und anderen Diktatoren, erfordern mehr Abstufung. Wir sollten mit ihnen kooperieren, aber auch ständigen Druck wegen Verbesserungen auf sie ausüben. Mit Ausnahme zweier Jahre, 2005 und 2006, übten westliche Regierungen zum Beispiel keinen Druck auf Hosni Mubarak aus, den Tyrannen, der Ägypten 30 Jahre lang regierte; wir ermutigten keine politische Mitwirkung, traten nicht für das Rechtsstaatsprinzip ein oder forderten persönliche Freiheiten. Hätten wir diese Schritte konsequent unternommen, würde Ägypten weit besser dastehen.
Zusammengefasst: Islamisten ablehnen, Liberale akzeptieren, mit Diktatoren vorsichtig umgehen.

Amerikanische Politik
Die US-Außenpolitik ist im Verlauf der vergangenen fünfzehn Jahre durch und durch widersprüchlich gewesen:
Auf eine edel gesinnte Weise versuchte George W. Bush im Nahen Osten zu viel zu erreichen – einen freien und wohlhabenden Irak, ein verwandeltes Afghanistan, eine Lösung für den arabisch-israelischen Konflikt, Demokratie überall. Als er auf die harten Realitäten der Region traf, scheiterte er mit all diesen Bestrebungen.
Barack Obama machte das Gegenteil – zu wenig – und scheiterte ebenfalls. Auf den Kern reduziert läuft seine Politik auf „Zurückstufung der US-Interessen, Brüskierung die Freunde und die Suche nach Konsens“ hinaus. Er brüskierte die iranischen Aufständischen, ließ langjährige Verbündete im Stich, versuchte die Region zu verlassen, um nach Asien einzuschwenken.
Dieser Ausblick kennzeichnet den Präsident als einen amerikanischen Standard-Linken, keinen Sonderfall. Obwohl er als Muslim geboren und aufgezogen wurde, hat dieser Hintergrund keinen erkennbaren Einfluss auf seine Politik. (Doch, die sechsmonatige Inhaftierung christlicher Flüchtlinge und ihre Abschiebung nach Syrien, während er muslimischen Flüchtlingen Asyl gewährt, das kennzeichnet seine Gesinnung. Nefesch) Seine politischen Ansichten allein erklären seine Einstellung.
Der Iran ist die eine (unerklärliche) Ausnahme in diesem Muster: Die vergangenen sechseinhalb Jahre offenbaren, dass der Iran – und nicht China, Russland, Mexiko, Syrien oder Israel – für Obama oberste außenpolitische Priorität gehabt hat.
Ich schlage eine US-Politik vor, die zwischen diesen beiden Extremen liegt: eine, die vom Schutz der Amerikaner und der amerikanischen Interessen bestimmt ist. Amerikanische Interessen zu fördern bietet eine Richtschnur für die Entscheidung, wo man sich engagiert und wo nicht. Das hat auch einen gutartigen Einfluss auf verbündete Länder wie Kanada.

Schlussfolgerung
Eine Region, die für ihre Probleme berüchtigt ist, bietet auch ein paar gute Nachrichten. Die Tyrannei wackelt mehr als vor fünf Jahren. Die Islamisten sind durch ihre internen Kämpfe und ihre Unbeliebtheit geschwächt. Die fauligen Staaten Syrien und Irak sterben, Kurdistan entsteht. Israel blüht auf. Die Golf-Araber, besonders in Dubai und Abu Dhabi, experimentieren mit neuen Wegen in die Moderne. Es gibt also in einem Meer des Unglücks und sogar der Schrecken auch einige Strähnen Hoffnung im Nahen Osten. Politische Entscheidungsträger sollten diese beachten und auf ihnen aufbauen.

Daniel Pipes (www.DanielPipes.org) ist Präsident des Middle East Forum. © 2015 by Daniel Pipes. Alle Rechte vorbehalten

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