Israels Recht – und die Hamas
Für sein Vorgehen gegen die Hamas muss sich Israel nicht entschuldigen. Auf die Anklagebank gehören diejenigen, die die eigene Bevölkerung immer wieder ins Elend ziehen.
Von Pierre Heumann
http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2014-32/israels-recht-die-weltwoche-ausgabe-322014.html
Gaza könnte heute ein Singapur am Mittelmeer sein. Dass der Landstrich zwischen Israel und Ägypten zu den elendsten Gebieten dieser Erde gehört, haben sich die Palästinenser selbst zuzuschreiben. Sie haben die radikal-islamische Hamas gewählt, welche die 1,8 Millionen Menschen ins Verderben geführt hat. Damit entschieden sie sich für eine Bewegung, die nie ein Geheimnis aus ihren martialischen Absichten gemacht hat. Die Hamas brüstet sich bis heute damit, das Ende der jüdischen Geschichte voranzutreiben. Und sie setzt alles daran, dieses selbstgesetzte und in der Charta unmissverständlich fixierte Ziel zu erreichen – und sei es auf Kosten der eigenen Bevölkerung.
Israels Schlagabtausch mit der Hamas, dem palästinensischen Ableger der Muslimbruderschaft, ist kein isolierter Kampf. Er findet in einem regionalen Kontext statt, dem Vorrücken der Dschihadisten im Irak, in Syrien, im Libanon und in Libyen. Der Machtzuwachs der Radikalislamisten ist eine direkte Folge des arabischen Frühlings, der den Einfluss vieler Nationen im Mittleren Osten arg reduziert hat. Dieses Vakuum nutzen Islamisten in gescheiterten Staaten wie Libyen, Syrien, dem Irak und in den Palästinensergebieten. Die Dschihadisten beobachten deshalb sehr genau, wie das Ringen zwischen der Hamas und Israel ausgeht.
Der Kampf ist für Europa entscheidend
Der Krieg gegen die Hamas hat auch eine globale Dimension. Ob Bengasi, Berlin, Boston, Brighton, Brüssel oder Burgas: Radikalislamisten schlagen weltweit zu, und sie rekrutieren im Westen junge Menschen, die sich für den Heiligen Krieg begeistern können. Im globalen Krieg gegen den Terror ist Israel an vorderster Front engagiert. Der Kampf gegen die Hamas ist entscheidend für das künftige Leben in Europa oder in den USA. Hamas, Isis, al-Qaida, Boko Haram oder Hisbollah: Sie verachten die Demokratie, die Moderne, letztlich auch das Leben.
Die Unterschiede zu Israel könnten grösser nicht sein. Israel ist Teil der Gemeinschaft demokratischer Staaten. Obwohl die Nation von Anfang an stets und täglich ums Überleben kämpfen musste, umgeben von feindlichen Staaten und Gruppen, die Israel, wenn sie nur könnten, am liebsten ausradieren würden, hat sich das Land in den vergangenen Jahrzehnten zu einer sehr erfolgreichen und innovativen Start-up-Nation entwickelt, in der die grössten Konzerne der Welt mit Forschungslabors oder Joint Ventures vertreten sind.
Israel war von Anfang an interessiert daran, dass sich auch die Wirtschaft von Gaza erbaulich entwickle. Als sich die israelische Armee und die 8000 Siedler im Jahr 2005 aus dem Gazastreifen zurückzogen und nach 38 Jahren die Besetzung beendeten, hatten die Palästinenser erstmals in ihrer jüngeren Geschichte eine Chance. Es flossen Spendengelder aus dem Westen, und nicht zu knapp. Zudem erhielten die Palästinenser alle Gewächshäuser der israelischen Siedler als Geschenk. Das Präsent hätte Grundlage sein können für eine blühende Landwirtschaft, für Jobs und Einkommen. Die Grenze zu den israelischen Hafenanlagen war offen, dem Export von Früchten und Blumen standen keine Sperranlagen im Weg. Ein gemeinsam mit Israel betriebener Industriepark an der Grenze zwischen Gaza und Israel hatte zuvor rund 5000 dringend benötigte Jobs geschaffen.
Hilfsgelder für Kriegsinfrastruktur
Doch kaum waren die Palästinenser für ihr eigenes Schicksal verantwortlich, begann das Desaster. Ein grosser Teil der Treibhäuser – die Grundlage künftigen Wohlstandes – wurde vom Mob zerstört. Die Polizeikräfte von Präsident Machmud Abbas waren nicht in der Lage, den Vandalismus zu stoppen. Zudem beendete ein Terroranschlag auf den Industriepark das Joint Venture und vernichtete so auf einen Schlag alle dortigen Arbeitsplätze.
Noch schlimmer wurde es, nachdem die Palästinenser im Jahr 2007 die radikalislamistische Hamas gewählt hatten. Statt in die Wirtschaft Gazas zu investieren, baute die Hamas den Küstenstreifen zu einer militärischen Bastion aus. Die ersten Raketen machten den Süden Israels unsicher, während die Hamas im Ausland die hohle Hand machte und Israel für die Not der Bevölkerung verantwortlich machte.
Europa übernahm dieses Narrativ bereitwillig. Es prangerte Jerusalem an, das Elend der Palästinenser durch die Absperrung zu provozieren, spielte den Terror der Hamas herunter – und überwies Hilfsgelder. Die Militanten der Hamas wurden als Freiheitshelden romantisiert. Dass Gaza sein elendes Schicksal eventuell selber zu verschulden habe, war kein Thema. Wie in kolonialen Zeiten sprach der Westen den Palästinensern die Eigenverantwortung für ihr Schicksal ab. Die Warnung, wonach die Hamas die in bester Absicht überwiesenen Hilfsgelder nicht für humanitäre oder wirtschaftlich sinnvolle Zwecke verwende, sondern in die Kriegsinfrastruktur investiere, wurde in Bern, Brüssel und Berlin als böse Propaganda zurückgewiesen.
So konnte die Hamas den Krieg gegen Israel während Jahren systematisch vorbereiten, unterstützt von westlichen Steuergeldern. Allein, seit sie an der Macht ist, hat sie den Landstrich bereits dreimal in eine Schlacht mit Israel hineingezogen. Das Resultat: jedes Mal verheerend.
Trotzdem hat die Hamas an ihrem Ziel festgehalten, Israel zu zerstören. Sie kaufte Tausende von Raketen und grub Dutzende von Terrortunnels. Dabei beging sie das Verbrechen, die Abschussrampen der Raketen und die Tunneleingänge in dichtbesiedelten Gebieten anzulegen, Kommandozentralen in Spitälern unterzubringen, Raketenarsenale in Moscheen zu verstecken und Waffen in Uno-Schulen zu lagern. Die palästinensische Bevölkerung, die Patienten in Spitälern und die Nutzer sozialer Institutionen wurden zynisch als «menschliche Schutzschilde» instrumentalisiert. Die diabolische Absicht ist klar: Israels Angriff sollte unter der Zivilbevölkerung zu möglichst hohen Opferzahlen führen, die zu PR-Zwecken verwendet werden können, als Beweis für das brutale Vorgehen der israelischen Armee.
Das Kalkül ist aufgegangen. Israel sieht sich jetzt in der abstrusen Lage, sich dafür entschuldigen zu müssen, gegen den Terror der Hamas vorgegangen zu sein. Die Armee habe internationales Kriegsrecht verletzt, habe gegen humanitäre Prinzipien verstossen und ihre Angriffe seien unverhältnismässig gewesen, heisst es.
Diese Vorwürfe sind aus mehreren Gründen haltlos. Sie lassen ausser Acht, dass Israel zwei Gefahren ausschalten musste, nämlich das Raketenarsenal der Hamas sowie die Terrortunnels, durch die bereits Soldaten angegriffen und entführt worden sind (und 10 israelische Soldaten sind durch einen Überfall aus einem Tunnel heraus zu Tode gekommen. Außer einem, sind alle Terroristen durch den Tunnel wieder nach Gaza entkommen – Anm.v.Nefesch). Allein in den letzten Wochen hat die Hamas rund 3300 Raketen auf Israel abgefeuert, viele auch auf Tel Aviv. Jede einzelne hatte das Ziel, israelische Zivilisten zu treffen, zu töten. Dass dabei kaum Zivilisten starben, liegt nicht daran, dass die Raketen ungefährlich wären, sondern daran, dass die Geschosse vom effizienten Raketenabwehrsystem «Iron Dome» abgefangen und zerstört wurden. Trotzdem haben sie das Leben in Israel durcheinandergebracht.
Weil in Gaza mehr als 1800 Menschen getötet und an die 10 000 verletzt wurden, ist Israel mit dem Vorwurf konfrontiert, sein Einsatz gegen den Hamas-Terror sei «unverhält¬nismässig» gewesen. Doch wer Israel Unverhältnismässigkeit vorwirft, muss erklären können, was Israel hätte unternehmen sollen, um die akute Terrorgefahr der Hamas auszuschalten.
Ziel: israelische Bevölkerung
Auch wenn es Israels Kritiker nicht zur Kenntnis nehmen wollen: Israel ging, so gut es eben in der humanitären Falle, die von der Hamas gelegt worden war, ging, behutsam vor. Mit Flugblättern oder Telefonanrufen wurden Bewohner von Häusern, die bombardiert werden sollten, zum Verlassen aufgefordert. Dass sie das in der Regel nicht getan haben, ist der Hamas zuzuschreiben. Sie trieb die Menschen in den Tod, indem sie ihnen das Verlassen verbot oder es verunmöglichte. Die Fernseh- und Radiostationen der Hamas riefen zum Beispiel die Bevölkerung auf, ihr Leben zu opfern und nicht zu fliehen, wenn Israels Luftwaffe mit einem Angriff drohte. Stolz berichtete ein Hamas-Kommandant in einem Interview, wie er sich nach einer Warnung beeilt habe, Freunde, Nachbarn und die Familie aufzufordern, dem Angriff auf dem Dach des Hauses zu trotzen. Der Hamas-Mann Ismail Radwan pries Palästinenser dafür, ihre Frauen und Kinder und Alten geopfert zu haben.
Damit ist nicht gesagt, dass es keine tragischen Fehler der israelischen Armee gab in der Hitze des Gefechts. Aber Kriegsverbrechen setzen voraus, dass eine Absicht bestand, Zivilisten ins Visier zu nehmen, nur weil sie Zivilisten waren.
Diese Absicht bestand lediglich bei der Hamas: Sie zwang die eigene Bevölkerung, sich als «menschliche Schutzschilde» zu opfern. Zudem setzte sie gezielt Raketen gegen Israels Bevölkerungszentren ein, und durch die Tunnels plante sie Massaker in israelischen Dörfern im Grenzgebiet zum Gazastreifen.
Auf die Anklagebank gehört deshalb nicht Israel, sondern die Hamas.