Prof. Bassam Tibi – Moslem und Demokrat
Prof. Bassam Tibi – Hochgeehrt und kaum gehört:
Seit vielen Jahren kämpft er mutig für das offene Wort. Er beklagt, dass die Grenzen der Meinungsfreiheit immer enger werden.
Prof. Dr. Bassam Tibi ist Demokrat aus Leidenschaft. Wie kaum einem anderen Geisteswissenschaftler im deutschsprachigen Raum ist ihm die Redefreiheit, der freiheitliche Diskurs ein Herzensanliegen. Bassam Tibi, geboren 1944 in Damaskus, ist deutscher Politikwissenschaftler, Muslim, Begründer der Islamologie und Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse. Diese Auszeichnung erhielt er 1995 für sein Engagement «für ein besseres Verständnis des Islam in Deutschland und für seine Vermittlung zwischen den Zivilisationen». Heute würde ihm diese Auszeichnung wohl nicht mehr widerfahren.
Er kritisiert die zunehmende Eingrenzung der Redefreiheit durch die ungeschriebenen Gesetze der linksorientierten «politischen Korrektheit » und die Blauäugigkeit angesichts des Vordringens des politischen Islam in Europa ebenso wie die rechtsradikale Fremdenfeindlichkeit. Damit ist er nicht länger wohlgelitten.
Er hat immer weniger, kaum noch Zugang zu den Massenmedien in Deutschland. Dabei sollte eine besonnene, kluge Stimme eines ausgewiesenen Fachmannes wie die von Bassam Tibi gerade heute gehört werden. Seine Arbeit wurde international vielfach ausgezeichnet. Gemeinsam mit dem jüdischen Gelehrten Michael Wolffsohn erhielt er den Jahrespreis der Schweizer «Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur». Das «Biographical Institute» (USA) wählte ihn 1997 zum «Man of the Year».
Er publiziert in deutscher, englischer und arabischer Sprache und hat eine ganze Reihe von Begriffen geprägt, die im öffentlichen Diskurs eine große Rolle spielen. So führte er etwa den Begriff «europäische Leitkultur» ein und sprach sich damit für ein selbstbewusstes Festhalten an den demokratisch-pluralistischen abendländischen Werten aus, gerade angesichts der hier entstehenden «Parallelgesellschaften» – auch dies ein Wort, das Prof. Tibi prägte und das in den öffentlichen Sprachgebrauch einging.
Die wissenschaftliche Heimat des Kosmopoliten ist nicht auf Deutschland begrenzt, wo er einst – unter anderem bei Adorno, Horkheimer, Habermas und Fetscher – Sozialwissenschaften, Philosophie und Geschichte studiert hatte.
Ab dem 1. Oktober 2009 ist Bassam Tibi nach 36 Jahren der Lehre als Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Göttingen Emeritus. Er lehrte und forschte zwischen 1986 und 2004 in den USA, in Asien und Afrika und hatte 18 Gastprofessuren inne. An 30 Universitäten auf allen fünf Kontinenten hielt er Vorlesungen, war bis 2010 Professor an der Cornell University, USA, und Senior Research Fellow an der Yale University, USA. Bücher von Bassam Tibi liegen in 16 Sprachen vor.
Schon vor vielen Jahren hatte er in seinen Büchern vor einer Islamisierung der Türkei unter Erdogan gewarnt. In einem Interview in factum (5/2009) hatte er die «türkisch-islamistische Unterstützung» für die Terrororganisation Hamas kritisiert. Fünf Jahre lang konnte er sich nur in Begleitung mehrerer Personenschützer und in einer gepanzerten Limousine bewegen. Islamisten hatten in den 90er-Jahren versucht, ihn zu ermorden.
Bassam Tibi ist enttäuscht von der Wertebeliebigkeit der europäischen Intellektuellen, die nicht fähig sind, die Herausforderung durch den Islamismus in Europa anzunehmen. Weitsichtig verteidigte er in seinem Buch «Europa ohne Identität – Die Krise der multikulturellen Gesellschaft» bereits 1998 Europa als zivilisatorisches Projekt gegen die Feinde der offenen Gesellschaft.
In dem factum-Interview zeigte er sich bitter enttäuscht über die, wie er es formulierte, «falsche Toleranz des Multikulturalismus» der den «rechtsradikalen Islamismus» romantisiere.
Gegenüber factum bekannte er: «Ehrlicherweise gesagt, bin ich nicht hoffnungsvoll.» In aller Offenheit kritisierte er früh die Politik Erdogans als islamistisch und warnte eindringlich vor dem Marsch der Türkei nach Europa.
Wie recht er hatte, zeigt sich heute, wo nach der kopflosen Politik der deutschen Bundesregierung die Kanzlerin die Stellung Deutschlands gegenüber Erdogan als «Abhängigkeit» bezeichnen muss – ein Offenbarungseid.
In einer schweizerischen – nicht in einer deutschen – Zeitschrift konnte er kürzlich die verhängnisvolle Migrationspolitik Angela Merkels kritisieren und auch die Ausgrenzung der Kritiker dieser Politik als «populistisch» oder gar «rechtsradikal». Es sei unfair, die Ängste normaler Bürger vor den sozialen und gesellschaftspolitischen Folgen des Zustroms von Migranten mit dem generellen Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit zu belegen.
«Demokraten müssen eine ideologiefreie Diskussion über diese Ängste zulassen und diesbezüglich einräumen können, dass nicht alle Flüchtlinge politisch Verfolgte sind.» Er berichtet von Gesprächen mit Deutschen, «von denen ich sicher bin, dass sie nicht als Rechtsradikale verdächtigt werden können», die aber «Angst davor haben, offen ihre Meinung zu sagen».
Die Alternative zum Extrem der Fremdenfeindlichkeit «ist nicht das Gegenextrem der Idealisierung des Fremden.
Unter den Leuten aus meiner Heimat Syrien, die nach Deutschland möchten, sind auch manche, die zuvor ihre Nachbarn ermordet haben – nicht alle sind Engel, Ingenieure und hochgebildete Akademiker, wie deutsche Medien suggerieren».
Weil seine begründeten Warnungen im deutschsprachigen Raum kaum noch publiziert werden, hat Tibi sein publizistisches Engagement in den angelsächsischen Sprachraum verlagert, wo er Mitherausgeber verschiedener wissenschaftlicher Zeitschriften ist. Auch der islamkritische Orientalist Hans-Peter Raddatz hat praktisch keinen Zugang mehr zu den großen Medien in Deutschland. Wer zum Islam nicht offen eingestellt sei oder ihn gar fördere, könne in den deutschen Medien, aber auch in Justiz, Kirche oder Universität keine Karriere mehr machen. Prof. Bassam Tibi warnt vor einer Tyrannei, in der keine freie Rede mehr möglich ist – und die einer schlimmeren Tyrannei den Weg bereiten könnte.
Thomas Lachenmaier http://factum-magazin.ch